Ich lag gestern in der Koje, las „das Institut“, und die darin beschriebenen Szenen phantasievoller Grausamkeit mixten sich mit den unschuldigsten Lachanfällen zur Musikuntermalung von „Blumenkohl am Pillermann“ aus der Lounge. Darüber schlief ich ein und träumte seltsame Dinge, bis mein innerer Wecker mir um 8:30 Uhr Bescheid gab, dass ich nun erfrischt genug sei, um in den neuen Tag zu starten. Und zwar in Bielefeld, in dessen „Forum“ wir nun auch schon diverse Male gespielt haben. Hier parken wir auch bereits, und nachdem ich den gestrigen Tourbericht geschrieben und den morgendlich traditionellen und erfrischenden Smalltalk mit Tobi gehalten habe, schlüpfe ich durch die Tür in den Club und werde aufs herzlichste von Forumchef Ralf empfangen, und auch diesbezüglich tun sich Welten auf im Vergleich zu den unsäglichen Begebenheiten des Vortags. Hier wird der Rockenroll wirklich noch geklebt, supportet und gestreichelt. Das Frühstück steht auch schon bereit, Labörnski sitzt bereits beim Kaffee, mag aber noch nicht laufen, darum ziehe ich alleine los und merke schnell, dass der Teutoburger Wald sehr schön, aber auch sehr hügelig ist. Das bin ich kaum noch gewohnt, weshalb mich auch andauernd andere Jogger überholen, aber fairnesshalber muss man auch sagen, dass sie auch allesamt viel profimäßiger angezogen sind. Ich laufe eine gute Stunde, und dann – weil ich eine Abkürzung nehmen will – nochmal zwanzig Minuten zusätzlich, dann bin ich am Ziel und belohne mich mit Dusche, Olivenbrötchen und Cola/Apfel.
Auch heute verläuft der Tag in den Strukturen der vergangenen Tage, jedenfalls für mich. Ich spaziere dauernd zwischen Backstage und Bus hin und her, lese etwas, gucke aufs Handy, lasse die Gedanken kreisen, konversiere ein bisschen mit diesem und jenem, und verlasse mich auf den Tourzeitdreiteiler „Busladen“, „Soundcheck“ und „Einlass“. Auch Frische Mische gehen joggen, soweit ich das mitbekomme, Burger und Fred bleiben eher im Bus, und Tobi, Urs und Bernd sind eigentlich immer überall und tun etwas, echte Multiple-Men eben.
Leider ist der Koch heute krank, und wir wünschen ihm beste Genesung, erstens sowieso, zweitens, weil er ein echter Superkoch ist, der unsere Gaumen schon oft höchstschön gekitzelt hat. Heute müssen wir ausnahmsweise auf einen Bestelldienst auswichen, den spare ich mir und verziehe mich lieber mit Buch in die Koje.
Das Konzert beginnt pünktlich um 20 Uhr. Es ist Sonntag und darum das Forum naturgemäß nicht so voll wie an Wochenendbeginnkonzerten, aber trotzdem erfreulich stattlich gefüllt, und zwar mit ganz hervorragenden Menschen, die mit uns ein sehr launiges, fast familiäres Konzert feiern. Es ist eine sehr seltsame Stimmung zwischen ausgelassenster Alberei und sonntagsbesinnlicher Introvertiertheit, ich kann es gar nicht so richtig greifen. Alles fühlt sich heute viel unmittelbarer an, so als gäbe es gar keine Bühne, sondern wir würden eher in der Küche auf einer Privatparty spontan ein paar Lieder spielen. Wir unterhalten uns viel mit dem Publikum, lehnen uns dann aber auch wieder zurück und versinken in den eigenen Songs, und die Partygäste tun das, was tolle Partygäste machen: Hingebungsvoll zuhören und mitplaudern, je nachdem, was gerade passt.
Der Privatsphärenpogo wird heute erfunden, setzt sich allerdings noch nicht komplett durch, dafür schwenken alle Arme euphorisch bei Pfeffi und Feuerwehrleuten, die Lichter brennen beim Seefahrerlied und die Augen leuchten bei „It’s only Rock ’n‘ Roll“, Mr. Parker funktioniert spieltechnisch heute ebenfalls ausgesprochen gut und überhaupt, so wie die Menschen uns abschließend stehend applaudierend mit herzlichem Lächeln verabschieden, kann man als Monster nur winkend grinsen, um die Rührung aus Coolnessgründen zu kaschieren.
Vielen Dank, liebes Bielefeld, das war ein wirklich superber Sonntag, voller Wärme und Vielschicht. Besser kann ich es nicht formulieren.
Leider falle ich anschließend in ein kleines Socializingtief und bin nicht imstande, anständig mit lieben Menschen zu kommunizieren, die noch am Merchtisch verweilen, hilflos steh‘ ich da und krieg die Antennen nicht ausgefahren, und dass, obwohl ja auch FreundInnen des Hauses vor Ort sind, Miriam, die Zwillinge, Dani und Co und ich vergesse schon wieder wen, ganz bestimmt, aber es nützt nix, mein Hirn ist ausgewrungen, irgendwann geb ich notgedrungen auf und verschwinde wieder im Backstage, wo ich kraftlos in einen Sessel versinke. Dummtilt-Totte.
Lange dauert der Abend aber insgesamt auch nicht mehr, wir müssen aus Buslogistikgründen früh los, Bernd ist gar derart energiegeladen, dass er unser Geraffel fast komplett in den Bus lädt, während wir noch ahnungslos im Backstage sitzen, und um halb eins verabschieden wir uns voller ehrlicher Dankbarkeit von Ralf, unserem heutigen (und übrigens ebenfalls großartigen) Lichtchef Martin und dem gesamten Team des Forums in der Hoffnung, uns bald wieder in die Arme schließen zu können.
Im Bus sind alle rasch bettfertig, essen noch eine Stulle, dann gehen die Lichter waltonsmäßig aus. Der Bus fährt an, die Grillen zirpen, doch langsam, aber stetig, erblüht aus der Lounge doch noch ein kleiner Lärm, ein minimaler Partyradau, winzig aber wahrnehmbar. Ich weiß nicht, von wem er kommt, aber es ist schön, dass er da ist.