Eine Viertelstunde früher hätte ich gestern den Absprung ruhig schaffen dürfen, andererseits waren noch so viele liebe Leute da, dass ich ein bisschen stolz bin, mich überhaupt losgeeist zu haben. Glücklicherweise habe ich dem geistigen Getränk nur sehr umsichtig zugesprochen, und dessen Nachwehwehchen sind nach guten anderthalb Stunden komplett weggejoggt. Die Sonne scheint verheißungsvoll, aber bei sowas bin ich immer skeptisch, denn Verheißung ist oft eine Sirene, die mit Klängen umschwärmt, um dann kräftig zuzubeißen. Verheißung tarnt sich als Björk und entpuppt sich als Söder. Na ja, so schlimm dann doch nicht, hoffe ich.
Ich bleibe trotzdem wachsam, trinke Kaffee und schreibe den gestrigen Tourbericht fertig, dann weiß ich auch nicht recht weiter, weil ich Hunger habe, aber nur Bohnen daheim, und Bohnen sind nur ideal, wenn ich ein paar Tage gar nichts mehr vorhabe. Aus Nostalgie und Langeweile lese ich unseren Bericht vom ersten Katerkonzert live auf Instagram, dabei fällt mir auf, was wir eigentlich alles für tolle Lieder haben, die wir schon lange nicht mehr ausgepackt haben. Aber aus der Kalten kriegen wir die nicht so schnell wieder gut präsentiert. Das ist ein bisschen die Krux am Langbestehen einer Band, jedenfalls, sofern sie nicht Sex Pistols heißt, es sammelt sich oft so viel Material an, dass viele Songs hintenüber kippen und aus dem Direktabrufgedächtnis entfallen. Für heute hat sich Kumpel Tobi zum Beispiel „Das größte Verbrechen“ gewünscht, aber ich kriege es einfach nicht schön gespielt, permanent vergreife ich mich und stolpere über Texthänger. Ich werde aber an mir arbeiten, versprochen. Auch wenn ich das immer verspreche, diesmal gilts echt, versprochen.
Ich fahre in Stephen King-Begleitung durchs sommerliche Hamburg und treffe vor dem LOGO schon viele liebgewonnene Menschen, die traditionell bei Picknick vor dem Club vorglühen, wir spenden genauso traditionell zwei Sekt, und dann begrüße ich Nico und T, Gomez und Rolf, Chris und außerdem auch die ganze Restband, die hier langsam eintrudelt. Wirklich verkatert wirkt eigentlich niemand. Wirklich schlecht ist das aber eigentlich auch nicht, den leider und zum Glück sind wir nicht die Pogues.
Der Club ist pünktlich voll mit feinsten Menschen und pünktlich fangen wir an.
Wir haben spontan ein paar Songs ausgetauscht, allerdings sehen wir, findige HörerInnen haben selbst unsere Plätze mit individuellen Songwünschen auf Post Its beklebt, die wir nun zusätzlich versuchen, nun unterzubringen. Ein bisschen verwirrt mag das nun wirken, ich hoffe aber, es kommt eher charmant rüber. Das Publikum ist heute nicht so laut wie gestern, aber dafür nachmittäglich konzentrierter, voll bei der Sache, ein Teil amtlich katerig, der andere Teil frisch wie aus dem Ei gepellt. Es macht sehr viel Spaß, ist aber völlig anders als gestern, obwohl natürlich auch so einige Gesichter von gestern dabei sind. Das Katerkonzert hat aber immer etwas andere Vibes. Mehr Seifenblasen, weniger Punk. Ich mag beides, denn beides ist immer voller Liebe. Nachdem tatsächlich Kinder die Bühne entern, spielt Rüdi „Kinder“ als Publikumswunsch, und auch Burgers „Pferd“ glänzt in lang ersehnter Freshness. Jetzt ist Pause und es gibt Rollmops und Gurken fürs Publikum, alle tigern durch den Sonnenschein.
Die Pause ist beim Katerkonzert aufgrund der Gratissnacks immer etwas länger als sonst, und ich muss gestehen, während Großteile der Band das bei Tabak, Gurke und Familie genießen, macht mich die Ungeduld fertig.
Irgendwann, nach Jahren, sind dann doch endlich die knapp 40 Minuten um und wir monstern in die zweite Halbzeit.
Anfangs denke ich „Uff, das ist aber öde“, doch ziemlich rasant steigt die Stimmungskurve, und – es tut mir leid, wenn das überheblich klingt, aber hier geht’s nicht nur um journalistische Faktentreue, sondern auch um Feelings – wir erleben eine wahnwitzig schöne Zeit mit einem extrem liebevollen Publikum. Das hier ist mehr Freundschaft als Bühnengrenze.
Ich weiß nicht, wo ich ansetzen soll, natürlich spielen wir Extrawünsche, natürlich ertönen neue Sounds aus den mitgebrachten Spielzeuginstrumenten aus dem Publikum, natürlich ist der Blueschor erdbebend, und natürlich sind das die Rüdi-Chöre nicht minder. Aber das alles sind nur Details, und laut Ed Wood sind Details nicht wichtig. Hier behält er recht, denn der Tag ist ein komplettes Opus, fulminant und voller Herz, er ist „Plan 9 outta Space“, aber auch „Citizen Kane“, und dazu tanzen die Marx Brothers zur Melodica.
Ich kann es nicht anders beschreiben, freu mich aber schon drauf, das in ein paar Jahren für mich selbst deuten zu dürfen.
Es ist eine große Küchenparty, und alle anderen Räume interessieren nicht.
Gerührt verbeugen wir uns und dann glänzen die meisten Kollegen neben dem Backstage unplugged vor einen begeisterten Publikum.
Ich sitze lieber am Tresen, trinke eine Handvoll Shots zuviel, fühle mich aber bei Gomez, Gunnar und der gesamten Crew zu wohl, um nach draußen zu gehen, glücklicherweise kommen immer wieder tolle Menschen vorbei, Schmiddl von Le Fly, Lina, Vivi, Mone, Julia, Tobi, Labörnski, Claudio undsoweiter, ich vergesse gerade tausend Namen, es ist immer ein Jammer, denn ich will mit allen mal in Ruhe quatschen, einen trinken oder einfach zusammensitzen, aber das ist wie bei Familienbesuchen: Ich will zuviel und die Zeit ist zu knapp. So ist es letztlich ein Wunder, dass ich doch den Absprung schaffe, und jetzt hier daheim die letzten pathetischen Zeilen eintippen kann, bevor die Sonne untergeht. Es war ein wirklich wunderschönes Katerkonzert und ich freue mir immer den Allerwertesten ab, dass ihr uns so treu und freundschaftlich begleitet.
Und wenn ich mir abschließend einen Wunsch erlauben darf: Bleibt bitte, wie ihr seid.