Ich habe meinen Wecker auf 4:45 Uhr gestellt, weil ich sowohl vor den täglichen Pflichten noch joggen, als auch eine Schnapszahl vermeiden wollte. Ich bin da eigen, ich geb`s zu. Alliterationen andererseits alle. Jetzt fällt mir kein geeigneter Abschluss für den vorigen Satz ein. Egal, ich bin müde. Ich bin erst gegen ein Uhr eingepennt und besonders erholsam waren die Träume auch nicht. Dafür erfreut mich gleich Bernie, unser schwarzer Kater, der sowieso Frühaufsteher ist und mich quiekend und stupsend in den Tag begrüßt. Nach einer kurzen Kuschelaktion wanke ich zum Bad, vor dem Charly, unsere rote Katzenlady döst, nun aber hochschreckt und mich ganz verdattert anglotzt. „Nein“, beruhige ich sie, „es ist noch nicht Frühstückszeit.“ Dafür aber Zeit, langsam das Thema von den Katzen aufs Tourleben zu verlagern. Blöd nur, dass es noch viel zu früh ist, mein Zug geht erst um kurz vor zehn Uhr, also jogge ich zunächst eine kleine Runde, füttere dann die Katzen, inhaliere Bernie und finde meine alltägliche Routine eigentlich ganz hübsch. Eher beängstigend dürfte sie allerdings zeitweise für hellhörige Nachbarn geklungen haben, denn die bekommen eine ausufernde Schimpfkanonade geboten, als ich beim Einseifen unter der Dusche minutenlang gegen ein widerspenstiges Haar kämpfe, dass sich um meine Finger gewickelt hat. Weil ich währenddessen plötzlich fürchte, dass gebrüllte Sätze wie beispielsweise „Wenn du nicht mehr bei mir bleiben willst, dann hau gefälligst auch ab!“, „Verpiss dich endlich, ich reiß dich auseinander!“ und „Lass endlich los und runter mit dir!“ ohne den akuten Kontext durchaus auch missverstanden und fehlgedeutet werden können, fange ich sofort an, möglichst harmlos laut zu lachen und singe danach „Singin‘ in the Rain“, doch ich bin mir uneins, ob das die akustische Szenerie tatsächlich irgendwie weniger creepy wirken lässt.
Verlassen wir darum lieber den Sanitärbereich und fliegen flugs zum Bahnhof: Wir Monsters reisen auch in dieser Festivalsaison wieder fast ausschließlich per Bahn, das macht die Ankunft spannender. Ich sitze jedenfalls nun in einem Regionalexpress, schreibe ein bisschen und lese inm unserer Bandgruppe, dass der Zug der Kollegen Pensen, Fred und Jan bereits mitb einer halben Stunde Verspätung losgeöttelt und der Anschluss damit gefährdet ist. Ich könnte mich nun über dieses marode Drecksunternehmen echauffieren, aber gerade ist mir mehr danach, das Beste zu hoffen und den beiden Teenagerjungs vor mir zu lauschen, die gerade am Handy irgendein Quiz spielen. Just jetzt beschreibt der eine dem anderen einen Film: „Da ist so ein alter Typ und ein jüngerer Typ und die haben ein Auto und damit fahren die rum und erleben so Abenteuer.“ Der andere kommt nicht drauf und auch mir hätte der Zusatz geholfen, wohin genau der alte Typ und der jüngere Typ denn so fahren, denn dann wäre ich womöglich auch von alleine auf „Zurück in die Zukunft“ gekommen.
Später träumen sie wortreich davon, gleich von „Ronaldo angespuckt“ oder zumindest „als roter Teppich benutzt“ zu werden, und ich ahne, das kann wieder nur irgendwas mit Eiskunstlauf zu tun haben.
In Nürnberg stauen sich trachtenbeschürzte Menschen in einer Oktoberfestdichte, dass einem angst und bange wird, und so schmuck die derart gewandeten Damen auch darin aussehen mögen, sie unterscheiden sich nur in der Wahl ihrer Getränke (Becher Weißwein) von den begleitenden krachledernen Herren (Bierkasten), ansonsten erinnern sie mich in ihrem Gebaren und Geplärr allesamt eher an FDPler auf Sylturlaub. Das mag unfair von mir sein, aber es ist auch nicht fair, dass die einzige Toilette am Nürnberger Bahnhof nur über Maßkrugmordor zu erreichen ist.
Ich erreiche als zweites Monster Ansbach, Rüdi ist bereits da und wartet in einem Club namens „Limit“ oder „No Limit“ auf uns, ich trinke einen Kaffee, bestelle was nach prompt ruft Burger an und befiehlt sofortigen Aufbruch. Die drei Damen und Herren, die zufällig mit uns vor dem Laden sitzen, rufen uns ein optimistisches „Ihr schafft das!“ hinterher, und darüber freuen wir uns, auch wenn wir jetzt dadurch erst zu zweifeln beginnen, dass wir es ja vielleicht auch nicht schaffen könnten.
Wir werden von Lukas geshuttelt, großes Bandhallo, Pensen und Packdrummer Rosi kommen aufgrund Bahnverspätung erst eine Stunde später an, wir fahren also vor und werden in Andorf herzlichst empfangen. Die Bühne befindet sich tatsächlich genau im Zentrum, genau an der Bushaltestelle, und der Platz davor ist bunt bestückt mit vielen Ständen und, was man eventuell nach meinen Ausführungen nicht denkt, beeindruckend groß. Neben dem supernetten Veranstaltungsteam um Philipp und Melli lernen wir auch die Band Pottinger kennen, die heute den Reigen eröffnen werden. Jetzt gerade siehts allerdings eher insgesamt mau aus, denn nun öffnet der Himmel die Schleusen und es kommt gewaltig herunter. Labörnski und ich trinken ein Mutmachbier, darüber lernen wir die Swiss-Team/Fandamen Nana und Kadi kennen und das ist sehr erfreulich und kurzweilig und vertreibt auch rasch die Wolken. Welcome back, liebe Sonne.
Im Backstage werden haufenweise Drinks und Brötchen aufgefahren und ich muss aufpassen, nicht zu schnell zuviel zu trinken, darum verziehe ich mich sicherheitshalber, während Pottinger den Rasen zum Beben bringen, in unseren Backstageraum, lese etwas und trinke einen Kaffee. Wow, wie aufregend, ich weiß…
Nach Pottinger entern Rosi und Pensen aka. das Pack die Stage, und die Menschen schwofen begeistert mit. Wir stolpern kurz als Spezialgäste zum Schlittschuhlied über die Bühne und bekommen bereits einen Ersteindruck, wie gutgelaunt und – trotz Sonntag- energiegeladen alle mitfeiern, leider ziehen zum Ende des Auftritts wieder dunkle Wolken auf und etwas Regen plätschert auf uns runter. Zum Glück tut das der allgemeinen Laune keinen Abbruch und wir hoffen, es handelt sich nur um einen kurzen Ausbrecher, nicht zuletzt, weil wir auch Jack Pott nur das Beste wünschen, auch natürlich zugegebenermaßen, weil wir sie gerne trocken genießen wollen.
Die Umbaupause nutze ich an dieser Stelle, um nochmal hervorzuheben, wie großartig und fürsorglich wir hier gehegt und gepampert werden, und als wir irgendwie rumulken, wir hätten unsere Setlisten gerne handgeschrieben, sitzt plötzlich Melli tatsächlich schreibend über Papier und lässt sich davon gar nicht mehr abbringen.
Mir ist das schon beinahe peinlich, und als ich mich in unserem Backstageraum wiederfinde, ist mir noch peinlicher, dass einige Kollegen anscheinend nicht in der Lage sind, Kronkorken und anderen Kleinscheiß einfach mal in den Mülleimer zu kippen.
Jack Pott bringen das Festival mit ihrem smarten Mix aus Punk und NDW zum Glühen, daran ändert auch der kurze stürmische Regen nichts, ich hab aber nur ein Paar Stoffschuhe und überhaupt keinen Pulli dabei, darum verstecke ich mich doch lieber wieder im Backstageraum, wo sich nach und nach auch die Kollegen einfinden und heute wieder in traditionelles Sportumkleidengebaren verfallen.
Die Wolkendecken machen mir Sorgen, in einer halben Stunde ist Soundcheck.
Wir sind inzwischen etwas im Zeitverzug, pünktlich zum Change Over, also der Bühnenübergabe gießt es aus Kübeln, trotzdem harren die Menschen vor der Bühne derart tapfer aus, dass die Wolken nachgeben und für den Rest unserer Zeit tatsächlich Ruhe geben. Der Soundcheck ist etwas chaotisch, weil wir noch nicht so richtig im Festivalmodus sind und zudem irgendwo auf dem Postwege ein paar Details unserer Technikinfos verloren gegangen sind, aber die Zeit rennt auch und so entscheiden wir uns, die Show zu starten. Der Platz ist sehr beeindruckend gefüllt, ich mache sogar Freunde von uns aus, die ich hier gar nicht erwartet hätte, zum Beispiel Stolle (sei gedrückt, hab dich nachher nicht mehr gefunden), der Großteil des Publikums ist aber natürlich jetzt wegen dem Headliner „Swiss und die Anderen“ da, aber das ist ja auch das Coole an Festivals: Man hat stets aufs Neue die Chance, neue Menschen zu erreichen.
Wir starten holperig aber dabei durchaus charmant, jedenfalls ist das unser Eindruck, und der Fakt, dass von Lied zu Lied mehr Menschen mitmachen und das kollektive Lächeln zunehmend breiter wird, stützt den Eindruck. Wir haben ein paar technische Problemchen, zum Beispiel wird der Monitorsound für Rüdi und mich von Song zu Song leiser, bis wir uns zum Schluss quasi aufs Gefühl verlassen müssen, zudem zickt Burgers Gitarre und spielt ohne fremdes Zutun plötzlich Technobeats, aber Perfektion ist was für Maschinen und außerdem tut das der Stimmung keinen Abbruch. Es wird gepogt, geschunkelt und mitgefeiert und die Menschen sind voll bei der Sache. Vor allem noch enorm konzentriert und energiegeladen, und das nach drei Tagen verregnetem Festival, da können wir nur beeindruckt den Hut ziehen. Wir selbst sind in Partylaune, etwas konfus aber voller Inbrunst und der Funke springt über. Herrlich. Wir feiern uns durch das Programm und die Zeit vergeht wie im Flug. Um die Verspätung aus Kollegialität etwas auszugleichen, verlassen wir zu den erfreulich lautstark geforderten Zugaben erst gar nicht die Bühne, sondern spielen gleich los und streichen auch zwei Songs, aber wir werden sie bestimmt nachholen, sobald wir euch wiedertreffen werden, versprochen. Der Abend ist ein sehr gelungener Cocktail aus Chaos, Rock und herzlichstem Miteinander.
Ein kleiner Wermutstropfen darin ist nur der Abbau nach dem Konzert, denn obschon wir keine Zeit verlieren, ist plötzlich alles ziemlich gehetzt, Fred fahren sie die Bühnenelemente noch während er sein Keyboard abbaut in die Hacken und mir mit der Swissanlage fast über Gitarre und Hände, als ich erstere gerade knieend entkabele. Unser nagelneues Backdrop wird uns zusammengeknüllt zugeworfen, keine Ahnung, wer da plötzlich Hummeln im Hintern hatte, die Festivalcrew kann’s eigentlich nicht gewesen sein, denn die war und ist zu jedem Zeitpunkt höchst freundlich, entspannt und extrem hilfsbereit. Wir tippen aber jetzt auch nicht ins Blaue hinein, sondern erfreuen uns lieber an den überschwänglichen Reaktionen, die wir auch nach dem Konzert noch von allen Seiten erhalten und die unsere Herzen erwärmen. Wie schade, dass wir dennoch bald Abschied nehmen müssen, aber unsere Züge fahren bereits in wenigen Stunden und der Tag war bereits sehr lang für uns alle. Hotelstories gibt’s ebenfalls keine, Rüdi guckt noch ein paar Minuten „Der mit dem Wolf tanzt“, wie er mir am nächsten Morgen auf dem Weg zum Bahnhof erzählt, und ich hab noch weniger erlebt. Aber der Festivaltag ist schließlich das, was zählt, und daran denken wir voller Freude zurück als wär’s erst gestern gewesen. Wir herzen euch alle dankbar und hoffen, wir feiern alsbald wieder zusammen. Oh Mann, ich wollte noch soviele Leute erwähnen: Bitte verzeiht mir mein Siebhirn und fühlt euch lobend erwähnt. Es ist Fakt: Biberttal taugt sehr. Hofknicks, eure Monsters.