Rüdi und ich hatten eine lange Nacht, in der Michel Friedmann Christoph Schlingensief Frankfurt zeigte, Hannelore Elsner bei Rotwein ein Gedicht vortrug und Jason Vorhees den BewohnerInnen der zweiten Erde den Garaus machte. Schon aufregend, so ein Liedermacherleben.
Nun sitzen wir mit kleinen Augen in der Bahn zum Zug, der uns nach Cuxhaven bringen soll. Am Harburger Bahnhof treffen wir Labörnski und Pensen, die ja überraschenderweise dasselbe Ziel haben, genial wie wir sind, entscheiden wir darum spontan, den Rest der Reise zusammen zu gestalten. Das ist allerdings gelogen, denn ich habe in der Grabbelkiste des Harburger Kiosks einen Roman von Peter Stamm gefunden, der mich augenblicklich von allen sozialen Miteinanders entkoppelt. Ich verschanze mich hinter den Seiten und verschwinde zwischen den Zeilen. Zwischendurch schau ich mir weidende Kühe an, und mir wird ganz warm ums Herz.
Cuxhaven, here we are, unser Shuttlefahrer heißt Pascal, ist supernett und fährt uns kompetent zum Festival, wo uns bereits Fred und Burger, beide per Auto angereist, empfangen. Gleichzeitig öffnet der Himmel seine Schleusen und taucht die Welt in Wasser. Nicht so schön, zum Glück aber auch nicht so lang, rasch pogt sich die Sonne wieder in den Vordergrund und trocknet den Boden. Das Deichbrand-Festival ist uns in den Jahren auch schon ganz schön ans Herz gewachsen, wir treffen viele tolle Menschen, Kollegen und FreundInnen, fläzen uns auf den Sofas im Backstage, begrüßen Theresa und unseren Monstermercher Fabi, der traditionell auch das Deichbrandmerch betreut und klären bei Kaffee die Setliste. Dann heißt es auch schon: ab zur Firestage zwecks Soundcheck, während auf der Waterstage gegenüber Culcha Candela die Massen anheizen. Ich kenne die Band eher über die derzeitige Berichterstattung und werde sie wohl eher nicht für ein Privatfest buchen, aber sie rocken wirklich amtlich das Deichbrand und machen sehr gute Laune. Ebenfalls gute Laune macht mir die erste Reihe, die sich bereits vor unserer Bühne formiert, darunter auch alte Bekannte, allen voraus Sandrine, die wir ja jetzt seit der Apriltour auch nicht mehr getroffen haben. Es wird Flunkyball gespielt und wir albern alle ein bisschen miteinander rum, bis alles ready für den Soundcheck ist. Kaum ist es soweit, löst sich an der Buchse meiner Gitarre eine Schraube und der Stecker fürs Kabel versenkt sich im Gehäuse. Fachlich kann ich das jetzt nicht besser beschreiben, aber es bedeutet jedenfalls, dass die Klampfe somit unbespielbar ist. Mir bricht der Schweiß aus, ich verschwinde hinter der Bühne und leihe mir eine Zange in der Hoffnung, dam,ut den Stecker wieder an die Oberfläche frieme3ln zu können, aber nix da, Niente. Ich überlege kurz, ob ich jetzt lieber weine oder weglaufe, da eilen glücklicherweise die Stageteammitglieder Anna und Tom mit Licht und Schraubenzieher herbei, und wir können den ganzen Laden auseinanderschrauben und den Stecker wieder an die Oberfläche ziehen. Patient gerettet. Hossa!
Den Soundcheck macht Firestagetonmeister Matze mit uns und zwar rasant, ruhig und wonderful.
Vor der Bühne ist inzwischen schon richtig Stimmung und wir könnten eigentlich auch schon loslegen, denn wir haben richtig Laune. Aber Festivalzeit ist ein strenges Korsett, da gibt es keine Dehnbarkeit. Wie auch? Die Zeit, die man sich extra nähme, würde man anderen Bands klauen, und wir sind viel, aber Diebe dann doch nicht. Also hampeln wir noch eine Viertelstunde rum, schließen Superbooker Nico und Tristan von den famosen Raum 27 in die Arme, freuen uns über die Fotofreunde von Fox on the Run und endlich ist es 13:10 Uhr und wir entern die Bühne.
Es wird eine wahnsinnig schöne knappe Stunde, in der wir unsere Songs abfeuern, überr die Bühne tanzen und viel mit dem Publikum interagieren. Trotz Sonntag und der frühen Uhrzeit sind die Menschen in absoluter Feierlaune, pogen und singen mit, tanzen und lachen mit uns und sind zum Glück auch sehr nachsichtig mit mir, denn ich verschussel schon wieder „Prädikat Punk“, weil ich plötzlich den ersten Refrain nicht mehr weiß. Was ist das gerade mit mir? Schon beim Ruhrpottrodeo hatte ich da einen Aussetzer, und jetzt wieder. Wie unangenehm. Da hilft nur rasanter Freestyle, den erfreulicherweise die Audienz nachsichtig würdigt, und letztlich besteht eine gute Monstersshow ja auch nicht aus kantenloser Perfektion, sondern eigentlich aus der Mix unserer ureigenen charmanten Verschrobenheit. Wir scherzen viel, schenken Getränke aus und fliegen durch unser Programm. Die Menschen vor der Bühne singen mit und schwenken Fahnen, Fck AfD, Viva con Agua, Dein Topf e. V., Songwünsche und Festivalgrüße. Großartig, das alles. Es macht höllischen Spaß und hätte gerne noch viel länger dauern dürfen, aber da sind wir eben wieder beim Zeitkorsett.
Nach der Show sitzen wir noch zufrieden ein bisschen zusammen, auch Armand aka. Hupfi, der uns bereits zwei Touren kutschiert hat, ist überraschend vor Ort, er fährt heute den Nightliner für BHZ (heißen sie BHZ? Ich bin mir gerade nicht ganz sicher. Falls nicht: Pardon.) und beschert uns mit gekühltem bayrischen Hellen, bevor er mit Börnski die Trikots tauscht, es scheint, als könne der Tag noch ausgelassen werden. Nicht allerdings für Fred und mich, denn wir düsen bereits gegen 15 Uhr ab, verabschieden uns herzlich von all den guten Menschen, Monstern und DeichbrandlerInnen, weshalb ich zum weiteren Festivalgeschehen auch nichts mehr sagen kann. Falls ihr mehr erfahren möchtet, fragt Rüdi, Börnski, Pensen und Burger. Fred und ich sind bereits im Landeanflug kurz vor Hamburg, unsere Fahrt verlief entspannt und gehaltvoll, vielleicht nicht ganz so gehaltvoll wie die Nacht von Friedmann und Schlingensief, aber immerhin sehr einträchtig und wohltuend fürs Gemüt. Und zum größten Teil trug dazu das tolle Deichbrandfestival bei, alle MitarbeiterInnen, das wundervolle Publikum und überhaupt: Ab und an fühlt sich das alles nach Familie an. Nach einer Familie, die man sich selbst aussuchen durfte. Es blüht viel Dank dafür in uns. Die Seele wird zum Rosenbeet, drum sollten wir sie gießen.