Ich wache um sechs Uhr früh auf, dämmere aber trotzig noch ein paar Stunden vor mich hin. Bernd hat uns sanft und sicher nach Jena gefahren, hier parken wir nun direkt am Club, dessen Tore und damit auch Toiletten sich für uns erst um zehn Uhr öffnen. Also versuche ich, meine Organe in Schläfrigkeit zu halten, heute sogar erfolgreich. Ich schaffe es gar zudem, den Tourbericht des gestrigen Konzerts zu schreiben, dann aber eilt es doch. Das Team um Andreas, Alf und Dani, haben uns ein schönes Frühstück gezaubert, deren Highlight die grandiose Kürbissuppe ist. Man spürt förmlich, wie mit jedem Löffel Energie in den seit einem Tag geschundenen Körper fließt.
Vorher aber joggen Pensen, Jan und ich noch eine Runde, besehen Arenen, Schienen und Reiher in freier Wildbahn bzw. in Jena-Paradies, ich zerreiße mir an der Spielplatzschaukel meine Hose, leider hat Jan vergessen, auf den Aufnahmeknopf zu drücken, somit war der Einsatz etwas überflüssig. Das Jogging schließen wir mit einem H&M-Besuch ab, wo ich mir eine neue Hose hole. Wäre schön, hielte sie etwas länger als die alte (zwei Tage).
Duschen, Tee und Bandbesprechung, in Zukunft werde ich mich wohl ansagetechnisch live etwas zurückhalten. Pläne für die Zukunft werden geschmiedet und auf morgen vertagt.
Ich bin heute einfach müde, keine Ahnung, warum. Vielleicht liegt der November auf meinem Gemüt, vielleicht auch einfach der Berg an Konzerten, der vor uns liegt. Im Kopf kreisen schwammige Gedanken, dabei hätte ich eigentlich genug gute Bücher dabei, und auch eigenes wollte ich eigentlich mal angehen. Na ja, auch das dann vielleicht morgen.
Da die Haustechniker sich etwas verspäten, zögert sich auch der Soundcheck raus, momentan ist es 17:47 Uhr und Claudio wuselt eichhörnchenrasant von Bühne zu Mischpult, um Zeit gutzumachen und uns unsere klangliche Oase zu bereiten. Bleiben wir gespannt.
Der Vorverkauf heute? Er hätte gerne etwas besser sein können, zumal unser letztes Konzert in Jena ein grandioser Abriss war. Aber die Zeiten changen bekanntermaßen und letztlich geht es um Musik, erst danach um Business.
Inzwischen ist es 18:18 Uhr und ich höre von der Bühne jemanden Gitarre spielen, das bedeutet, jetzt wird zunächst mal der Sound gecheckt, dann das Essen genossen, von dem unsere Crew gerade betört schwärmt. Es duftet herrlich. Egal. Gemeine Disziplin. Es fällt gar nicht leicht, sich nach der Klangklärung nicht komplett den Wanst vollzuhauen, denn alles schmeckt vorzüglich, aber die bevorstehende Performance zwingt mich zur Mäßigung. Lieber nochmal für eine halbe Stunde die Augen schließen. Kurz vor Konzert wünsche ich mich stets am meisten in einen Bürojob.
Um acht Uhr geht’s aber los. Wir klettern auf die Bühne und blicken auf einen hocherfreulich überraschend gut gefüllten Raum voller Menschen, die Bock haben. Wir haben auch Bock, allein, so richtig supersmart finden wir nicht in den Anfang. Seit gestern laborieren wir an neuen Introideen rum, was dazu führt, dass wir nie genau wissen, wann das Lied aufhört und wir beginnen. Gerade eiern wir ein wenig umher, aber die Verplantheit hat sicher auch etwas Unterhaltsames an sich, und spätestens zum ersten gesungenen Refrain sind wir wieder im Modus. Jena ist heute sehr aufmerksam, es sind auch erstaunlich viele Neulinge dabei, für deren Ohren jede Pointe neu zu sein scheint. Es wird ein ausnehmend nices Konzert, weniger bier- als vielmehr hörselig. Kleiner kurzfristige Songaustäusche funktionieren, und alles ist sehr groovy. Wir reden nicht allzuviel auf der Bühne, sondern lassen der Musik den Vortritt, trotzdem kommt es natürlich auch zu längeren Ausnahmen, in denen zum Beispiel der MC Happy Goth erfunden wird, und die Zweitstimmenchöre trällern heute besonders inbrünstig. Für uns ist das Programm auch immer noch neu, und alles fühlt sich sehr frisch an.
Wir werden mit stehenden Ovationen eines famosen Publikums beschert, und wären uns nach dem Konzert nicht zunächst mal alle Türen zum Veranstaltungssaal verschlossen geblieben, hätten wir sicher noch mit viel mehr Menschen am Merchandisestand reden können. Aber auch so treffen wir allerhand liebe Leute, machen Photos, hernach sitze ich noch mit Lina und anderen FreundInnen für eine kleine Runde im Backstage, bevor es Zeit wird, den Bus zu laden und von dannen zu ziehen.
Dass ausgerechnet aus den eigenen Freundesreihen in Übermut versucht wird, eins unserer Verkehrshütchen zu entwenden, was letztlich nur dank Bernds Spurtfähigkeiten misslang, erfahre ich erst zur Abfahrt, und schäme mich ein wenig freundfremd. Allerdings weiß ich, dass das sicher nur Folge feierlich juvenilen Überschwangs und keine boshafte Bereicherung darstellen sollte, und auch Bernd ist nachsichtig und verzeihtechnisch ein echter Jesus. Im Bus gibt’s keine große Aftershowparty, stattdessen eher ein pflichtschuldiges Feierabendbier und leckere Veganschnitten, die uns der Club extra noch geschmiert hat. Vielen Dank. Überhaupt: Vielen Dank für den schönen Abend, das tolle Konzert und überhaupt, dass es so Clubs wie euch gibt.
Die Lounge leert sich rasch, alle sind müde, kurz sitzen noch Claudio und ich als letzte Bastion bei Wasser und Pfeifchen zusammen und unterhalten uns über Psychologie und Podcasts und wir sind uns einig, dass beides gut ist. Dann entschwinde ich zu Teddypard in meine Koje, um in stofftierlicher Warmherzigkeit die Kälte des Alltags vorerst da draußen auf den Straßen lassen, um in spannende Träume von Graureihern zu versinken. Die Tour ist noch jung, es gibt soviel zu erleben.