von: Totte

Der heutige Tag strukturiert sich im Grunde wie die letzten Tage, was daran liegt, dass Tage eigentlich auch nur Eier sind, und solange nix schlüpft, fehlt der sichtbar eigenständige Charakter.

Allerdings heißt das nicht, dass es nicht dennoch Nuancen, Facetten und Unterschiede gibt: Heute zum Beispiel bin ich erst um halb zehn Uhr aufgewacht und fühlte mich inadäquat zerschossen. Ich fand das unfair vom Befinden und bin darum trotzig trotzdem eine ausgiebige Runde Joggen gewesen, wenn auch eher deshalb ausgiebig, weil eine Brücke gesperrt war. Egal. Der Reif, das Eis, die Vögel, alles ist in fröstliche Stille gewickelt, und das kommt meiner Stimmung sehr zupass.

Dabei möchte ich aber auch mal betonen, dass sich Stimmungsbeschreibungen in den Tourberichten oft viel drastischer lesen, denn ein Tagebuch verführt sehr zum emotionalen Bildermalen. Es ist November, wir reisen im Bus, bleiben lange wach und stehen früh auf, das ist eben der Way of Livelife, und wenn man etwas zartfühlender ist, reibt das Nervenkostüm sich rasch. Aber es hält ja nun auch schon seit über zwanzig Jahren, denn es ist doppelt und mit Musik genäht.

Im Backstagebereich, genauer dem Cateringraum steht ein ausladend einladendes Superbüffet mit vielen Köstlichkeiten, denn – und das hatte ich ja völlig vergessen – in der Musa herrscht Karla, die Queen of Kulinaria, die ultraherzlich, liebevoll und kompetent bestes Essen für vitaminbedürftige Reisegruppen zaubert. Exquisit, da blühen unsere Gaumen auf.

Wir laden schnell den Bus aus, und Franzi, die uns betreuende Dame vom Haustechnikteam, ist der erste Mensch außer mir, der unseren lieben, ewig mittourenden Kühlschrank derart empathisch und vorsichtig betreut, dass man ihn alsbald dankbar schnurren hört. Ich bin ehrlich gerührt.

Im Cateringraum gibt es auch ein Klavier, und da heute und morgen Pensen leider wegen nicht aufschiebbarer Verpflichtungen (nichts schlimmes, nur eilig) fehlt, üben wir Labörnskisongs und tanzen aufgeregt.

Danach ist irgendwas mit Fußball, darum geh ich bis zum Soundcheck zu Teddypard.

Ich lande wieder beim Essen: Es gibt unter anderem ein indisches Curry zum Abend, das mich von den Socken haut. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie ich mich zügeln soll, darum muss ich rasch das gesamte Gebäude verlassen und mich im Bus festketten. Mein Gaumen zeigt mir den Vogel, nur mein Bauch weiß um meine Bühnenverpflichtung und versteht mich.

Gestern haben in der Musa die ehrenwerten Slime gespielt, und das gilt es natürlich, in Sachen Pogo zu toppen. Ob wir das geschafft haben, weiß ich nicht, immerhin sitzt heute das Publikum, und außerdem waren wir gestern gar nicht da, um kompetent zu vergleichen, darum sag ich mal: „Ja, haben wir geschafft.“, und bin damit ganz in der postfaktischen Gegenwart gelandet.

Doch im Ernst: Die ausverkaufte Musa ist ein Quell der Freude, und mit uns Monsters passiert, was meist passiert, wenn einer fehlt: wir geben alle noch mehr Prozent und werden zu mehr als der Summe ihrer Teile. Natürlich fehlt mit Pensen quasi der Orchesterleiter, wir füllen diese Leere allerdings sehr gutgelaunt mir spontanem Gerede über Haupt- und Nebengitarristen, tanzen hüpfend umeinander und packen auch lang nicht mehr gehörte Songs aus, deren Qualität uns jetzt erst wieder auffällt. Zum Beispiel „Moti“, das richtig Dampf hat. Auch ein paar andere Songs haben wir ausgleichend in die Setliste genommen, denn wir lassen kein Lied zurück. Während einer Punknummer sitzt Rüdi neben mir und liest Zettel, die ihm während der Show dauerhaft zugesteckt werden, was mich durchaus ablenkt, und nun bin ich neugierig und wünsche mir eine Brille. Aber das nur als kleine Randnotiz ohne inhaltliche Aufgabe.

Es wird ein echtes samstägliches Feuerwerk voller Leuchtkraft und Hitze. Standing Ovations sind die Belohnung und uns kitzelt es die Herzen.

Ihr kennt das: Jetzt geht’s nach der Show weiter mit Menschen am Merch, die wir kennen- oder kennenlernen, manchen, wie zum Beispiel Sandrine, werde ich nicht gerecht, weil überall Gespräche aufflammen und ich irgendwann auch meinen Bühnenkram zusammenräumen muss, mit anderen kreisen die Gespräche auch mal um ernstere Themen wie beispielsweise künstlerische Verantwortung gegenüber Kindern, in meinem Kopf kreiselt es jedenfalls irgendwann ganz schön, weshalb ich unseren lieben BackstagegästInnen wohl eher ein etwas unkomfortabler Gastgeber bin. Das ist das Problem, irgendwann ist man leergeredet. Ich entscheide mich für das schlaueste und dümmste, nämlich noch eine Portion Curry. Dabei spielt mein Magen bereits seit heute Mittag verrückt, woran nicht das Essen Schuld trägt, sondern der übermäßige Ingwerkonsum der letzten Tage in Verbindung mit meinem Porzellanmagen, aber ob man darauf noch eine Wagenladung Curry schaufeln sollte, darüber sind sich die Gelehrten eher uneins.

Glamouröse geht’s weiter mit Busbeladen und dann keine Tür mehr finden, um reinzukommen, weshalb ich es verpasse, mich von Teamchef Ole und seineer tollen Crew angemessen zu verabschieden, darum an dieser Stelle: Vielen Dank an und für euch, ihr seid der Hammer.

Im Bus sitzen, bis auf Burger, der aufgrund des Qualms schlauerweise Abstand hält, alle noch eine Weile in der Lounge, die einen spielen DJs, die anderen erzählen von Podcasts, irgendwann geht’s auch um Busfahrstories, aber davon hätte wahrscheinlich Bernd die besten, nur muss er just eben den Bus fahren.

Es ist dann doch halb drei, als ich mich hinlege, dank Tobi mit Immodium abgesichert, und ich höre noch ein bisschen den Unterhaltungen aus der Lounge zu. Heute wieder nichts gelesen. Dafür aber toll gelebt. Das Leben lebe hoch. Danke Göttingen, du langjährige gute treue Freundin, dich zu treffen, weckt stets die alten Geister.