Das war eine mittelmäßige Nacht, ich träumte unbehagliche Erlebnisse mit den glücklicherweise in der Realität äußerst fröhlichen Gesellen von Liedfett, erhole mich aber auch beim ersten Kaffee nicht komplett davon. Bernie ist zwar morgendlich fidel, findet aber sein Essen blöd und Charly hat anscheinend einen melancholischen Tag, zumindest maunzt sie dauerhaft ziemlich anklagend. Draußen ist es grau, ich laufe trotzdem eine kleine Runde durch die Natur, denn Johanniskraut ist auch keine alleinige Antwort. Danach lese ich noch Thomas Glavinics Roman „Das größere Wunder“ fertig, von dem ich noch nicht sagen kann, wie ich ihn finde, abgesehen davon, dass er sehr kurzweilig ist.
Ein grauer Tag heute, außen wie innen, auch die mir auf dem Weg zum Bahnhof entgegenkommenden Passanten wirken verschlossen und entmutigt, ein bisschen so, als fürchteten sie, den vergangenen Sonnenwochen zu früh auf den Leim gegangen zu sein.
Der Regionalexpress ist zunächst voll, leert sich aber auch rasch wieder und ist außerdem überpünktlich. Von meinen separat in Autos anreisenden Kollegen lese ich dagegen von Staus und Streckensperrungen, nur von Kabelklau lese ich nichts, denn der ist allein Bahnreisenden vorbehalten. Leipzig, du schöne Stadt, ich mag dich umarmen, aber ich kann nicht. Mein Herz ist heute irgendwie verdorrt. Ob das an Stephen Kings „Outsider“ liegt, an meinen Träumen oder der Realität? Es brennt und rummst ja allerorts, da kann man schon mal ins Seelentaumeln geraten. Ich hoffe aber, dass das nur eine temporäre Taumelei ist und heute Abend wieder alles Zucker und Eierkuchen.
Ich finde den Felsenkeller problemlos, was unter anderem daran liegt, dass er erstens exakt neben der Bushaltestelle steht, zweitens unser Bandbus dort bereits parkt, drittens Claudio bereits ein Wegweisevideo in unsere Gruppe gepostet hat und viertens Jan Labinski direkt auf den Stufen davor sitzt. Trotzdem bin ich insgeheim sehr stolz auf mich. Ich schaffs gerade, mir ein Brötchen in den Schlund zu schieben, schon ruft Fred auf zum fröhlichen Busausladen, die innerbetriebliche Begrüßungszeremonie findet also eher beiläufig und kistenbepackt auf dem Weg zwischen Bus und Bühne statt. Dabei registriere ich, dass die Kollegen heute den Kühlschrank in Hamburg gelassen haben, und das frisst mir – bei aller nachvollziehbaren Logik – ein kleines eiskaltes Loch in mein Herz. Ich bin menschlich gesehen ein Muffin mit Schokokern, und das ist eher schlecht als charakterliche Grundausstattung für ein steinhartes Tourleben, andererseits braucht es eben auch Muffinmenschen, sonst puffert sozial gar nix mehr.
Tobi rauscht inzwischen auch rein, er hatte heute, soweit ich weiß, die weiteste Anreise und dann auch noch obige Streckensperrung als Superjoker. Trotzdem gut gelaunt und töfte. Herrlich.
Kaffee, King und Chilloutzeit.
Ich höre Frische Mische Songs üben, begrüße lieben Besuch, Fred geistert durch die vielen Räume, Burger schläft auf der Couch, Rüdi raucht draußen. Ich sitze auch draußen, lese etwas und spüre die Zeit verrinnen.
Endlich Soundcheck, heute ist Claudio am Start, unser guter alter Compadre, und so schade die Abwesenheit von Urs und Marc ist, so schön ist es, ihn heute wieder am Ton und in der Family zurückbegrüßen zu dürfen. Draußen klingt sicher alles rasch perfekt, und der imposante Saal wird in adäquate Klänge getaucht, ob der Soundcheck für mich gut lief, wird sich für mich indes traditionell erst während der Show zeigen, vorher weiß ich nie, ob ich mich höre oder die anderen oder was ist überhaupt los? Aber ich vertraue stets der Intuition unserer Technikherren und -damen, je nachdem, wer gerade für uns die Regler dreht, und ich wurde noch nie enttäuscht.
Es wird Zeit für die Show:
Wir stehen hinter der Bühne und das Publikum singt bereits beeindruckende Monsterschöre, oha, Vorschusslorbeeren, das ist total schön, allerdings auch zeitgleich fast etwas zu heftig, eine leise Furcht, dass wir vielleicht überschätzte Scharlatane sind, überkommt zumindest einen Teil der Monsters, aber zur Umkehr ist es jetzt zu spät, also raus und ab dafür. Der Felsenkeller ist sehr gut gefüllt und die Leute haben offensichtlich sehr Lust auf uns. Zugleich sind sie in wochenendlicher Partystimmung, trinkfreudig rufen sie Songwünsche entgegen, leider können wir einige nicht erfüllen, aber das macht nur wenig, hoffe ich. Jan Labinski dreht voll auf, springt schwimmend über die Bühne, Fred ist besonders souverän, wir anderen auch ein bisschen. Es gibt allerdings auch Konfusionen, wir haben anscheinend verschiedene Setlisten und sind darum nicht immer ganz einig, wer gerade womit dran ist, aber glücklicherweise entstehen dadurch kaum Pausen, und wir zelebrieren eine wirklich herzliche Feier auf beiden Seiten der Bühne, was angesichts der Raumgröße vorher gar nicht so sicher war. Mein Monitor ist etwas zu laut, so dass ich die Gitarre immer abdämpfen muss, damit sie nicht hupt, aber das schreibe ich jetzt hauptsächlich, damit ich auch mal was für die Technikfreaks bieten kann.
Zu Beginn der zweiten Hälfte muss ich gestehen, dass ich kurz den Eindruck bekomme, dass wir energiemäßig etwas absacken, ich weiß aber nicht, ob das mein Empfinden oder Fakt ist.
Es ist ja so: Fragt man uns Monsters nach einem Konzert, wie es war, wird man höchstwahrscheinlich mindestens drei, wahrscheinlicher aber sechs verschiedene Meinungen zu hören bekommen. Der großartige Thorsten Nagelschmidt (oder Torsten? Bei Torsten „H“s komme ich immer ganz durcheinander) schrieb ähnliches viel ausformulierter in seinem wunderschönen Debütroman „Wo die wilden Maden graben“, lest das mal. Ganz selten kommt es vor, dass alle Bandmember der gleichen Meinung sind, und solche Momente wären eigentlich ein gutes Beispiel für die Wissenschaft, um der Welt die Bedeutung eines „Axioms“zu erklären. Heute sind mindestens vier Monsters sehr glücklich mit dem Konzert, und das ist schon ziemlich gut, und auch ich gestehe äußerst gern, dass auch für mich rasch der Knoten platzt, vor allem aber, weil das Publikum so enorm toll mitmacht und uns ständig kreativ überrascht. Plötzlich wird eine Polonaise getanzt, dann tanzen wieder andere Walzer, ein Paar hat Laternen im „Federwisch im Elfental“-Design gebastelt, und der Geruch von Wunderkerzen weckt nostalgische Feelings in uns allen, auch wenns dafür – wie wir hören – anschließend Ärger gibt, Wunderkerzen sind anscheinend eine echte Gefahr in Deutschland. Wunderkerzen und Umweltschützer. Nazis, Alkohol und Böller nicht so. Kopfschüttelwelt. Doch zurück zum Konzert: Der Abend gewinnt total an Fahrt, Lichtdame Marlene zaubert ein wirklich tolles Licht, Labörnski überrascht mit spontanem Harmonikasolo und es wird gelacht, gepogt, gesungen und Feenstaub flittert durch den Saal in unser aller Gemüter. Wirklich wundervoll. Ein großes Sorry für ein paar Wünsche, die wir diesmal nicht erfüllen konnten, wir holen das nach.
Wir werden euphorisch mit Standing Ovations verabschiedet und begeben uns rasch ebenso euphorisch zum Merchtisch, wo Tobi allerhand zu tun hat. Viele Freunde sind heute da, Miriam, Sandrine selbstverständlich, Normann Schuh, meine Freundin Lina, Ronja, Skelli, Filip, Fehrsi und noch viele mehr, fast ist es mir etwas zu viel, da ich das Gefühl habe, niemandem gerecht werden zu können und die verdiente Aufmerksamkeit zu widmen, zumal hier auch alle ziemlich rasant, leider auch nicht immer höflich, aus dem Saal gekehrt werden, Ich schaffe es gerade noch, schamvoll stolz zu erröten, als Anja uns als die „zeitgemäßen Comedian Harmonists“ lobt, aber realistisch selbsteingeschätzt kann ich das natürlich nicht annehmen, gerade was meine harmonische Dysfunktion betrifft wäre das zu anmaßend.
In einer kleineren Runde sitzen wir anschließend noch bei Bier beisammen, aber es wird nicht allzu spät, der Tag war lang, die einen müssen die Bahn erreichen, wir müssen ins Hotel und manchmal sind auch die Tanzpuppen eben bettschwer. Wir fahren zum Hotel, wo Claudio noch checkermäßig einen Parkplatz klärt, und das war auch schon das größte Abenteuer der Nacht, abgesehen von Stephen Kings wirklich erschreckenden Roman, der mich noch ein paar Seiten bis in eine Traumwelt begleitet, die ihm in wenig nachstehen wird. Grusel pur. Was für ein Glück, dass das Wachsein heute so schön war. Vielen Dank dafür, holdes Leipzig. Und Umfeld.