26. April 2025
von: Totte

Ich kann mir das nach dem Aufwachen auch nicht erklären, aber eben noch räucherten Pensen und Jan Fleischberge in meinem Hotelzimmer und auch ich biss große Stücke daraus, wohl wissend, dass es falsch ist. Jetzt sitze ich kerzengerade auf dem hoteleigenen Zustellbett, höre Fred leise schnarchen und fühle mich matschig wie die Erfurter Vegancurrywurst, und ich freue mich mit euch, werte LeserInnen, wenn ihr nicht wisst, was ich meine.

Es ist 05:45 Uhr, und so früh klopft nicht mal Bernie bei mir an, also versuch ichs noch eine Dreiviertelstunde mit Schlaf, aber es wird nichts mehr, darum steig ich in die Klamotten und jogge los.

Das Hotel liegt gleich beim Park am Wasserschloss, habe ich gestern gelesen, aber scheinbar laufe ich in die falsche Richtung, denn auf meiner gut einstündigen Runde finde ich keine relaxtaugliche Grünzone. Einmal fast, aber dann stehe ich plötzlich am Bahnhof Leipzig-Leutzsch und muss über die Schienen, um wieder an dfer Zivilisation teilnehmen zu dürfen. Interessanter Ritt.

Die Band ist ebenfalls schon wach und fit und stromert größtenteils zwischen Draußenrauchen, Frühstücksbuffet und den eigenen Zimmern umher.

Ich schreibe den Tourbericht, trinke Kaffee und lese ein bisschen, aber wir alle spüren insgeheim, dass die partybedingten Latecheckoutzeiten in Hotels für uns inzwischen wohl der Vergangenheit angehören. Hufscharrend warten wir die Zeit zur Abfahrt ab, hüpfen in den Bus und fahren los.

Im Bus entsteht überraschend schnell Sektlaune, was unter anderem an der gebunkerten Sektpulle liegt, in Sonnenschein gleiten wir via Rauchpausen und Kleinkäufen bis Eschwege, im Bus die gute alte Sportumkleidenstimmung, die bekanntermaßen Kerle brauchen, keine Ahnung, wofür.

Ankunft E-Werk: Wir werden herzlichst familiär von Nina und ihrem Team im E-Werk empfangen, alle sind ganz zauberhaft, aber das Busausladen machen Fred und Labörnski fast komplett alleine, weil wir anderen neandertalerisch über die Brötchen herfallen. Ich schwöre, beim nächsten Mal bin ich wieder am Start.

Es ist ein sehr entspannter Sonnentag, Claudio verschiebt den Soundcheck etwas nach hinten, um mit Rüdi und Labörnski Eis essen zu gehen, zwischendurch üben sie Flicflacs, jedenfalls sagen sie das, ich döse glatt auf der Couch kurz weg. Keine Ahnung, woher diese bleierne Müdigkeit heute kommt, Fred geht’s aber ähnlich. Der Soundcheck ist angenehm verspielt und das Essen mit Spargel, Kroketten, Schnitzeln, Veganwurst, -lachs und -hollandaise ganz großartig, mit dem einzigen Nachteil, dass ein voller Bauch nicht gerade rockaktivierend pulserhöhend wirkt. Labörnski und ich gehen eine Runde spazieren, die anderen gucken Fußball bis zur Show.

Wie schön, dass Alex Feiertag auch vorbeikommt, er sagt uns mit lieben Worten gar an und dann besteigen wir die Bühne.

Der Abend heute ist anders als gestern, etwas konzentrierter kleinkunstiger, das ist spannend, hier im E-Werk haben wir alles bereits erlebt, ausgelassene Pogoparties, zugeneigte Zuhörabende, Wildstyle und Wonnecouchkonzerte. Der Raum ist heute komplett bestuhlt, das erhöht sicher die Konzentrationsbereitschaft, bietet aber zeitgleich auch Raum für etwas skurrilere interaktive Unterhaltungen mit dem Publikum. Ich versinge mich zwar auf der Endstrecke von „Katzen hassen“, aber ansonsten läuft alles sehr harmonisch gut gelaunt. Wir können in viele bekannte Gesichter sehen, die uns schon seit Jahren die Treue halten, aber dafür ist gut, dass wir auch viele neue Songs unseres aktuellen Albums spielen. Ein klein wenig zügelt uns womöglich anfangs, dass noch das Tageslicht durch die hohe Fensterfront scheint, aber so sehr es draußen dunkelt, so befreiter pogen und tanzen alle lachend mit. Trotzdem sind wir uns in der Pause einig, dass wir ruhig noch ein bisschen mehr aufdrehen können.

Oftmals nimmt man sich in der Pause was vor, was dann ins genaue Gegenteil umschlägt, ich weiß nicht, ob das an einer Verkrampfung liegt oder an Murphy, aber wichtig ist für heute, dass unser Plan voll aufgeht:

Wir sind erstaunlich locker und müssen viel lachen, und der Abend wird richtiggehend magisch glücksbeseelt. Wir nehmen richtig Fahrt auf, bremsen an den ruhigen Stellen passend ab und geben dem Abend auch genügend Raum für kleinere spontane Einlagen, zum Beispiel ein kurzes Geburtstagsständchen (Happy Birthday, Birte), und das alles funktioniert nicht zuletzt deshalb so wundervoll, weil das Publikum extrem toll mitmacht und uns quasi durch das ganze Konzert trägt. Wirklich augennässend rührend. Standing Ovations und bebende Monsterschöre verabschieden uns schlussendlich, und nach der Show ist noch sehr viel Gedränge am und um den Merchandisestand, lauter liebe Menschen, ich komme gar nicht dazu, alle richtig zu würdigen, es ist ein Adrenalinrausch. Eine Dame fragt mich, womöglich tiefenpsychologisch-, vielleicht auch sektbedingt: „Wer bist du?“, und weil ihr die Antwort „Torsten“ nicht reicht, weiß ich nicht weiter und ziehe etwas ratlos zur nächsten Runde, freue mich sehr darüber, dass Sonja und der Open Flair Arbeitskreis uns mit schmucken Shirts ihrer Kollektion beschenkt, ich trinke noch ein paar Bier bei äußerst belebenden Gesprächen mit Micha El Goehre und Anja, behaupte bei einigen Anekdoten des Abends, dass sie auf jeden Fall in diesem Bericht erwähnt werden, vergesse dabei aber mein Siebhirn, und über all dem Gewusel und Smalltalk verpasse ich wieder das Busladen. Dieses Wochenende bin ich wirklich keine große Hilfe. Erst nach und nach lichten sich die Reihen, bis zuletzt nur noch ein standfester Minikreis E-WerkmitarbeiterInnen mit Alex und mir ein Abschiedsgetränk nimmt, dann verabschiede auch ich mich voller Dank und Herzenswärme und spaziere zum Hotel, wo ich den armen Fred noch wecken muss, weil ich keinen Schlüssel habe. Ein Klassiker des Tourlifes. Vorm Eimnschlafen kreisen nochmal meine Gedanken um die ganzen Eindrücke des Abends. Wer ich bin? Hm. Ich bin derweil. Und das ist doch schon mal ganz gut, finde ich.