Der Wecker klingelt um 6:10 Uhr und Bernie quiekt hoffnungsvoll hungrig. Ich habe wenig und schlecht geschlafen, aber diese Zeiten sind ja leider ebenfalls wenig und schlecht. Doch ich will nicht in private Abgründe abdriften, verklebt und mit teigig-knochenlosen Beinen richte ich zunächst das Katzenfrühstück und jogge dann eine kleine Runde, bevor ich mich in den Zug setze, der mich nach Schweinfurt fährt. Ich habe gerade versehentlich „Schwerinfurt“ getippt und das ist bislang das Aufregendste, was ich zu erzählen habe. Meine Kollegen scheinen gutgelaunt zu sein, sie posten Selfies aus ihren jeweiligen Bahnen und sehen irgendwie ganz schön erholt aus. Ich lese ein bisschen im Philipp Oehmkes Roman „Schönwald“, in dem es dummerweise ganz schön viel um Trump und Co geht, aber immerhin spannend beobachtet und stilistisch lesefreundlich.Neben mir am Viertertisch des randvollen Zuges mit -laut Bahn-App – geringer Auslastung“ sitzt ein älteres Ehepaar, das zwar nicht so dolle findet, den Tisch mit mir zu teilen, aber beruhigt ist, dass ich statt Gitarre nur das Buch ausgepackt habe. Sie selber lesen auch, zeitgemäß digital und anscheinend dasselbe Buch (also die beiden, nicht wir drei, obwohl: wer weiß?), was ich irgendwie drollig und richtig finde. Sollte ich mich aber geirrt haben, und sie verschuiedene Bücher lesen, dann wären sie gruselig und kauzig, denn sie halten abwechselnd dauernd inne, um einander zu fragen, ob der jeweils andere auch gerade schon bei „der und der Stelle ist“, worauf der andere nickt und beide wieder schmunzelnd in ihre Bücher versinken. Schließlich bekommt der Mann Hunger auf „irgendwas mit Käse“, worauf seine Frau irgendwas mit Käse auspackt und ich mich wohlig in einem berühmten Sketch vom damals noch großartigen Harald Schmidt wähne. Leider muss ich nun aussteigen, denn wir erreichen Schweinfurt. Ich schultere die Gitarre und will mich verabschieden, da fragt mich die Frau schwäbelnd: „Hebbe wir Sie jetzt etwa mit unsere Vesper vertriebe?“ Das ist so herzerweichend und viel besser als die Originalschmidtpointe, dass ich auf den Boden fallen und ihre Hand küssen möchte. Trau ich mich natürlich nicht, stattdessen kommt von mir nur ein müdes: „Nö, alles super, ich muss nur hier raus.“ und verlasse den Zug in der bitteren Ahnung, der ödeste Situationskomikrhetoriker aller Zeiten zu sein.
Schweinfurt ist hot, das Bahnhofscafe is not. Die Stühle draußen sind alle festgekettet, die Pizzabrötchen ausnahmslos mit Salami belegt und das Kunden-WC geschlossen, was ich natürlich erst nach dem Laugenstangen- und Kaffeekauf herausfinde.
Die Toiletten der Bahn selbst sind auch defekt, das lässt sich aber nur feststellen, indem man vorher Geld einwirft. Fassungslos blicke ich auf eine Toilettenschüssel, die wie ein Perpetuum Mobile von alleine überläuft, danach gehe ich zur Bahninfo, denn ab und an will ich Austausch. Die Bahn ist allerdings eher wie die CDU. Storyende.
Etwas wüterich verlasse ich die Info und laufe gleich in Johanna, die uns heute chauffieren wird, und ihre Herzlichkeit lässt jeden Wutfunken verglühen. Auch die Band kommt nach und nach an, leider nicht Burger, der heute aus Gründen aussetzen muss (es geht ihm aber gut), und ab geht’s zum „Ab geht die Lutzi“-Festival, durch sanfte Auen und malerische Felder, und wir werden liebevoll empfangen. Die werten und hochgeschätzten Kollegen der Donots laufen auch bereits rum, aber anscheinend bin ich zu rasch gealtert, denn wir fallen uns nicht augenblicklich in die Arme, und um auf mich hinzuweisen, bin ich zu schüchtern.
Lukas ist der Mensch, der sich um uns kümmert, und das tut er sehr gut, allerdings hat er auch sehr viel um die Ohren, denn die Band, die vor uns spielen wird, steht im Stau, außerdem kündigt sich ein Starkregen an. Herrlich, Festivalzeit. Wir flanieren und treffen uns in unserem Backstagezelt zu Beatlesmusik zusammen, erstellen eine Setlist, die sich aufgrund der Wetterlage und Verzögerungen immer wieder verändert, pünktlich zu unserer Change Over-Zeit, also der Zeit, in der wir die Bühne übernehmen sollen, kommt der Regen geballt runter und wir werden etwas fatalistisch. Glücklicherweise dauert der Schauer nicht allzu lang, aber die Zeit bleibt knapp. Wir helfen beim Verkabeln der Mikros und ziehen mit Lutzi-Tontechniker Joe einen möglichst schnellen Soundcheck durch, Joe ist rasch und gut und wir bemühen uns, das erfreulich zahlreiche Publikum schon ein bißchen zu entertainen. Einmonstern on stage, dann ab dafür.
Wir hasten etwas durch unser Programm, die Uhr tickt gnadenlos und wir wollen abliefern, aber was hilft, sind die energetisch mitfeiernden Menschen, die viel mit uns lachen, singen und tanzen. Ein Trompeter hat sich ebenfalls eingefunden, aber er trompetet wirklich nur passend in ausgewählten Momenten. Wir freestylen ihn aus Dank in einen Song, verteilen Getränke und CDs in die Menge und singen lauthals voller Elan, während wir ständig zum Bühnenrand gucken, wo uns Lukas die verbleibende Spielzeit souffliert. Er konnte tatsächlich ein paar Minuten Nachspielzeit für uns rausholen, und so schaffen wir es tatsächlich, nicht nur unser Programm durchzuziehen, sondern auch noch eine laut geforderte Zugabe zu spielen. Wunderschön.
Glücklich, aber geschafft verabschieden wir uns von der Bühne und laden unseren Kram wieder ins Backstagezelt, bevor wir auseinanderdriften, um zu essen, „Ok-Danke-Tschüss“ zu hören und/oder ein bißchen Festivalluft zu schnuppern.
Das Festival bebt und die Laune ist allerorts herrlich, wir aber sind heute etwas vorsichtig, denn morgen müssen wir um sechs Uhr früh bereits wieder los, um uns in den freitaglichen Bahnhorror zu stürzen. Johanna fährt uns ins Hotel und das hat es in sich. Es besteht aus einem riesigen Komplex mehrerer Häuser, die allesamt äußerlich den Charme eines verlassenen Parkhauses versprühen. Unsere Zimmer sind im sechsten Stock und haben vierstellige Zimmernummern. Das Foyer ist verlassen und die Wände sind von Kinderhänden mit vielen Wald- und Tierszenen bemalt, hier hätte Schlingensief eine perfekte Version von Stephen Kings Shining drehen können. Nichtsdestotrotz sind die Zimmer toll und sogar mit Balkonen ausgestattet, wo wir zu Led Zeppelin noch eine Weile einträchtig sitzen und uns wohlig vor Kettensägenrednecks fürchten, bis dann letztlich doch die Müdigkeit alle übermannt und wir auseinanderdriften, um heiße Träume aus dem wilden Tag zu zaubern.
„Ab geht die Lutzi“-Festival, das war ein tolles Debüt für uns bei euch und wir wünschen euch nur Sonnenschein und glanzvolle Ballnächte. Und uns wünschen wir, wiederkommen zu dürfen. Vielen Dank euch allen. Auf hoffentlich bald.