1. November 2025
von: Totte

Mein innerer Wecker ist ein Kater namens Bernard. Bernard ist ein schwarzer Kater, Asthmatiker und äußerst freundlich. Allerdings auch Frühaufsteher, und weil er dann Gesellschaft sucht, am besten Gesellschaft, die ihm Frühstückmittagkuchenabendbrot kredenzt, tappst er ab fünf Uhr heran und stupst mit Kopf und Pfoten solange gegen mein Gesicht, bis ich aufgebe.

Jetzt bin ich zwar gerade in Hamburg, aber Bernard hat mich längst geeicht. Ich bin wach. Fred liegt nebenan und schläft den Schlaf der Gerechten, Das finde ich ungerecht, jedenfalls solange, bis auch ich wieder einschlafe. Wir werden heute gegen 12 Uhr von den Kollegen eingesackt, bis dahin vertrödeln wir den Tag etwas mit Kaffee und Konversation, Fred raucht meine Wohnung in nostalgische Beigetöne und im Hintergrund läuft Country. Sehr schön, trotzdem haben wir Hummeln im Hintern und sind froh, als wir endlich in den Bus einsteigen können, den Urs galant nach Hannover fährt.

Im Bus viele diverse Unterhaltungen, Fabi, Urs und ich reden zum Beispiel über Haftbefehl, Ssio und den Volksmusikrapper Tream, den ich nicht kenne, der aber laut Urs und Fabi, unglaublich in seiner dorfpolemischen Lokalpatridiotie sein soll. Ich hasse ihn jetzt jedenfalls. Das ging schnell, sehr zeitsparend.

Hoppla, da ist ja bereits das Musikzentrum, prachtvoll und erhaben. Eine kleine Heimkehr. Auch das Team um Christian ist herzlich und Family, aber gerade haben erstmal leider die Brötchen Priorität, denn wir sind hungrig, als hätten wir seit Tagen nicht mehr gespeist, dabei haben wir nur ausnahmsweise auf den Burger King unterwegs verzichtet.

Danach tut jeder, was er für richtig hält, ich zum Beispiel laufe eine Runde, verlaufe mich und komme trotzdem an der richtigen Stelle wieder raus. Zeitlich habe ich mir allerdings exakt die Regenstunde ausgesucht, aber es ist insgesamt warm und damit macht es Laune, durch den Regen zu laufen. Unterwegs telefoniere ich auch mit meinem Vater, der gerade unseren Hamburgbericht gelesen und nun Fragen hat, aber ich bin etwas kurzatmig und wahrscheinlich ein wenig unhöflich. Da du ja hoffentlich diesen Bericht auch liest: Ich hab dich lieb, es geht mir gut und der Burger King-Satz vorhin war nur ein Ulk, wir essen Obst.

Duschen, Kaffee, Tourbericht schreiben, den Kollegen beim Schlafen zuschauen und gleich zum Soundcheck gehen. Mehr werden wir später erfahren.

Okay, es bleibt aufregend: Der Sound ist geklärt, das Essen hervorragend. Es gibt klare Klänge und vegane Lasagne, nach der ich mir in Erinnerung immer noch die Lippen lecke. Besonders aktiv wirken die Monsters allerdings immer noch nicht, ziemlich verschroben spazieren sie voneinander isoliert durch die Gänge, liegen auf Sofas oder glotzen auf die Wurzel des Übels, ihre Displays.

Wie gut, dass endlich Showtime ist.

Hannover ist ready. Wir sind auch irgendwas. Zumindest entern wir die Bühne und werden famos empfangen. Danach verschleiert sich alles. Im Gegensatz zu gestern sind wir ziemlich unstringent, fahrig und kauzig, verschleppen Songanfänge, vergessen Strophen und zerstückeln ganze Lieder. Aber trotzdem ist da eine Energie und ein Spaß, der über die Bühnengrenze schwappt und äußerst ansteckend ist. Ich weiß nicht, wer zuerst lachen muss, das Publikum oder wir, aber allen tränen die Augen vor Spaß und in Liebe eskaliert der Raum.

Femme Pia wird in die Hechelrekordgeschichte eingehen, der Song zerfasert schier durch unser Gelaber, doch bevor er komplett stirbt, klingelt wie durch Draculas Fügung ein Handy und hebelt ihn wieder auf die Bühne, Fred tanzt sich heute mehrere Wölfe, Jan und ich luftküssen uns konzerrtlang, Rüdi glänzt weltklassemelodisch, ich öffne Burger ein Bier mit der Wasserflasche just, als Frische Mische von Helden singen, die dann verdutzt schauen, weil das Publikum tosend applaudiert. Doch auch die Balladen und ruhigeren Nummern werden honoriert, was immer besonders schön ist. Zu den Zugaben schließlich geht Pensens Mikro nicht mehr, worauf die Technikcrew etwas werkeln muss, während unser Technikboss Urs, inzwischen etwas weinbeschorlt, via Pult-Mikro mit der Band konversiert und alles ausufert. Alle sind etwas neben sich, gerade so, als ob der Vollmond über uns wachen würde.

Die großartige Audienz aber scheint uns zu verstehen und feiert auch das, wofür Burger sie spontan mit einem Extralied belohnt, bevor dann auch alle Mikros wieder funktionieren und wir in herrlichster Partymanier unser Set beenden. Wir haben die Standing Ovations zum Ende vielleicht nicht verdient, freuen uns aber sehr darüber und sind uns einig, dass das eine sehr individuelle Show war. Ein wilder Rodeoritt, der trotz Gestrauchels rekordverdächtig scheint.

Wir treffen nach dem Konzert am Merchandise sehr viele FreundInnen von uns, denn Hannover ist Heimat, aber dass Timmey, unser alter Freund und T-Shirtstecher, uns heute, nach etwa neun Jahren, mit seinem überraschenden Besuch beehrt, ist einer der schönsten Momente in unserer Geschichte. Er ist in Begleitung seines zweifellos sehr sympathischen Kumpels Stefan, und ratzfatz sitzen sie bei uns im Backstage. Timmey und wir haben natürlich monstersfernab weiterhin den Kontakt gepflegt, aber es gab da einen dunklen Fleck, wie sie leider meist auf Trennungsnarben zwecks Überdeckung zu finden sind, und endlich wieder im Bandkosmos zusammenzutreffen und zu merken, dass die gemeinsamen Bande immer noch geknüpft sind, ist wirklich magic.

Sofort sind alte Konversationsmuster wieder da, die Musik wird aufgedreht, und hätte nicht auch die wundervolle Musikzentrumscrew ihren Feierabend verdient, würden wir dort wahrscheinlich immer noch sitzen und kichern. Ganz groß und wird definitiv wiederholt. Love.

Im Hotel schließlich sitzen noch Rüdi, Börnski und ich im Foyer, fühlen uns zwischen Grand Budapest und Shining und erklären einander glucksend den Lebenssinn. Es ist bizarr, schön und Halloween reloaded. Ich will nicht weg, und erst um 3:30 Uhr lasse ich die Vernunft gewinnen, schleiche ins Hotelzimmer, dusche, versuche, Fred nicht zu wecken und lege mich schlafen. Um sechs Uhr klingelt mein Wecker, ich respektiere seine Autorität, aber wir beide wissen, dass es falsch ist, den rauschend wilden Traum des gestrigen Abends zu beenden.

Wie gut, dass es Tourtagebücher gibt, um eben solche wie diesen zu konservieren.